10 November 2006

Höllenritt im blauweißen Blitz

Um das Wichtigste vorweg zu nehmen: Die im letzten Beitrag schon angesprochene Busreise von Bangkok, Thailand nach Siem Reap, Kambodscha war ein Abenteuer, wie es richtige Weltreisende wohl lieben. Für mich war es vor allem eines: Schrecklich. Aber wenigstens habe ich nun etwas zu erzählen, wenn ich nach ein paar Bier in trauter Runde nach den "verrückten Anekdoten" meines Trips gefragt werde.
Doch alles schön der Reihe nach, denn die im Reisebüro meines Bangkoker Guesthouse für 300 Bath (7,50 Euro) gebuchte Fahrt fing überraschend komfortabel an. Direkt vor der Tür holte mich um 6.40 Uhr ein geräumiger, klimatisierter Minibus (12 Sitze) ab. Für die rund 200 Kilometer bis kurz vor die kambodschanische Grenze brauchten wir nur knapp drei Stunden, so dass ich mich naiverweise im Geiste schon am Nachmittag durch Siem Reap schlendern sah. In solchen Dingen fehlt es mir wohl noch an Reiseerfahrung - im Basketball nennt man das Rookie-Fehler. Denn nach einer zweistündigen Pause in einem Restaurant ging es nicht mehr im Minibus, sondern in einem umgebauten Truck weiter, in dem wir samt Gepäck in bester Armeemanier aufgereiht wurden. An der Grenze hieß es dann erneut aussteigen und nach den langwierigen Passkontrollen (warten bei 35 Grad im Schatten), waren wir also gegen 3 Uhr endlich in Kambodscha, einem der ärmsten Länder der Welt. Hier bot sich ein grauenhaftes Bild: Baracken, Dreck, Staub, katastrophale Straßen und abgemagerte Kinderhorden, die einem bettelnd am Hosenbein hängen. Das lässt niemanden kalt. Ich habe es nachgelesen: 20 Prozent der kambodschanischen Kinder sterben vor ihrem fünften Lebensjahr. Danach sind 80 Prozent unterernährt.
Nachdem mich unser Führer mit seinem Moped zum Geldwechseln gefahren hatte (1.500 thailändische Bath (34 Euro) für 105.000 kambodschanische Riel (21 Euro) - noch so ein Rookie Fehler) ging es im nächsten Bus weiter. Der war erstaunlich komfortabel, relativ modern, klimatisiert und mit ausreichend Beinfreiheit. Der Haken: Nach nur fünf Minuten war ein erneuter Gefährtwechsel angesagt und diese neue Schrottkiste entbehrt jeder Beschreibung. Deshalb nur dieses Bild:
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Ich hätte Geld gewettet, dass dieses busartige Ding Typ "DDR 60er Jahre" niemals anspringt - und das tat es auch nicht. Also mussten ich und Marco, ein anderer deutscher Backpacker, aussteigen und anschieben, ehe sich der blauweiße Blitz in Richtung "Road Number 6" in Bewegung setzte. Das ist eine von Kambodschas Hauptverkehrsadern, jedoch ohne Asphalt, staubig-dreckig und gepflastert mit kratergroßen Schlaglöchern. Ihr könnt euch das nicht vorstellen: Eingezwängt in meinem winzigen Sitz habe ich Sprünge vollbracht wie noch bei keinem Basketballspiel. Dabei betonte der Führer, dass wir Glück haben: Vor einem Monat noch war die gleiche Straße überflutet und unbefahrbar.
Nach etwa zwei Stunden hatten wir schließlich die ersten 50 Kilometer und damit ein Drittel der Strecke in Kambodscha zurückgelegt, als der Fahrer plötzlich fluchend in einen Parkplatz einbog. Die Übersetzung unseres Führers: Ein Platten (angeblich). Und das rein zufällig vor einem Restaurant, dessen Inhaber später freundschaftlich mit dem Fahrer plauschte. Während wir also dort warteten, machte er sich zum "Reparieren" mit all unserem Gepäck davon. In Gedanken habe ich mich schon von meinem Rucksack verabschiedet und gerätselt, wie lange ich wohl alleine und ohne Nahrung in der Natur überleben kann. Doch nachdem wir ausgehungerten Backpacker brav in dem Restaurant gespeist hatten, tauchte am Horizont der Bus auf und wir konnten unseren Schlaglochslalom nach Siem Reap fortsetzen - mittlerweile im absoluten Dunkeln. Ihr könnt euch meine Erleichterung nicht vorstellen, als nach weiteren vier Stunden - inklusive einem zweiten Stopp bei einem mit dem Fahrer befreundeten Kioskbesitzer - die Lichter von Siem Reap aus der Dunkelheit auftauchten.
Mittlerweile war es gut nach 10 Uhr und da ich mich vorher nicht um eine Unterkunft gekümmert hatte, stand ich nun vor einem neuen Problem: Wo übernachten? Doch glücklicherweise ist Kambodscha in Sachen Vetternwirtschaft, was Brasilien im Fußball ist, und so setzte unser Führer uns direkt vor dem Guesthouse seines Freundes ab. Ich hatte schon die schlimmsten Befürchtungen, doch wieder einmal lag ich falsch. Denn für nur fünf Dollar die Nacht gab es hier ein penibel sauberes und wunderschönes Zimmer mit Ehebett und TV (!) - bei weitem die beste Unterkunft auf meinem bisherigen Trip.
Nach einem Tag Erholung und Stadterkundung in Siem Reap ging es am Donnerstag in aller Frühe zu den rund fünf Kilometer nördlich gelegenen Tempeln von Angkor. Sie sind Weltkulturerbe und eine der größten Touristenattraktionen Südostasiens - vollkommen zurecht. Diese monumentalen Anlagen, die teils von der Natur überwuchert sind, rauben einem wirklich die Worte. Daher verweise ich lediglich auf Fotos und meinen Reiseführer, der festhält: "Es gibt nichts, das den Besucher auf die Erhabenheit von Angkor vorbereiten könnte."
Meine persönliche Bilanz nach einem Tag auf dem Leihfahrrad in dem riesigen Areal: 11 Stunden Sightseeing (5am - 4pm), 147 Fotos und Beine wie Jan Ullrich nach dem Aufstieg nach Alpe d?Huez. Kurzum, es war wirklich beeindruckend. Und wem diese Beschreibung immer noch nicht ausreicht, dem sage ich Folgendes: Allein für diesen Tag in Angkor hat sich der Höllenritt nach Siem Reap gelohnt.

P.S. Morgen geht es auf dem Fluß weiter nach Battambang (ca. 4 Stunden) und in meinem Reiseführer heißt es zu der Qualität der Boote in Kamobodscha: "Mit etwas Glück ergattert man einen Platz auf einem der neueren Boote - die meisten anderen Kähne präsentieren sich in unterschiedlichen Stufen des Verfalls." Na Servus!

Hier findet Ihr Fotos von meinem Ausflug nach Angkor.