16 März 2007

Freizeit über den Wolken

Den folgenden Blog-Eintrag möchte ich mit einer Warnung an alle Lesefaulen und Zeitknappen beginnen: Meine Geschichte kann diesmal länger dauern. Denn ich habe Zeit. Viel Zeit. Ich sitze am Flughafen in Auckland und warte darauf, dass die im blauen Kostüm gekleidete Dame vom Bodenpersonal die Nummer meines Fliegers aufruft. Sie dürfte um die 45 Jahre alt sein - selbst ihre durchtrainierten Beine und das großzügig im Gesicht verteilte Makeup können das nicht verstecken. Vor 20 Jahren war sie bestimmt ausgesprochen hübsch. Doch eigentlich spielt das für meine Geschichte keine Rolle. Genauso wenig wie ihr Alter. Ich erzähle es trotzdem. Denn ich habe Zeit. Viel Zeit.
Mein Flieger startet um 17.25 Uhr und wenn alles nach Plan läuft, dann lande ich in Santiago de Chile um 11.45 Uhr des gleichen Tages. Ja, das ist richtig: Nicht am nächsten, sondern am gleichen Tag. Nach meinem Ermessen ist das eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit: Eine Reise in die Vergangenheit, wie sie normalerweise nur Filmhelden wie Doc & Marty vorbehalten ist. Doch es stimmt: Nach meinem elfstündigen Flug darf ich in Chile meine Uhr fast eine volle Umdrehung zurückstellen. Obwohl ich im Flieger Film schauen, lesen, essen und mich von nervigen Sitznachbarn langweilen lassen werde, gewinne ich einen ganzen Tag. Und das Beste daran: Er ist ganz umsonst. Zugegeben, jeder Uhrzeitexperte würde bei dieser Beschreibung entrüstet den Kopf schütteln und etwas von Datumsgrenze und Zeitzonen murmeln, doch von derartigen wissenschaftlichen Erklärungen will ich gar nichts hören. Ich genieße vielmehr meinen Gratis-Tag und die kostenlose Zeit. Viel Zeit.
Eigentlich könnte ich das nutzen, um von meinen letzten zehn Tagen in Neuseeland zu berichten. Doch wenn ich auf die vorangegangen Einträge blicke, dann würde es sich dabei wohl lediglich um eine Wiederholung von bereits Gesagtem handeln. Denn auch auf meiner Tour durch den südlichsten Teil des Landes war die Natur atemberaubend und abwechslungsreich, die anderen Insassen im Stray-Bus weitgehend nett und interessant, und somit nicht nur die Tage, sondern auch die Abende in den zumeist abgeschiedenen Hostels immer unterhaltsam. Nach einem Monat Neuseeland - wie zuvor in Südostasien und Australien möchte ich hier ein lautes "viel zu kurz!" einwerfen - ist mein Fazit überwältigend positiv.

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Lake Tekapo mit Neuseelands mächtigen Südalpen im Hintergrund

Doch hätte ich nicht die kostenlose Zeit - so viel Zeit - dann würde es sich eigentlich nicht lohnen, zurückzublicken. Schließlich habe ich mittlerweile all die neu gewonnenen Freunde zurückgelassen und auch Neuseeland werde ich in wenigen Augenblicken nurmehr aus dem Bordfenster bestaunen können. Ich bin wieder allein, ein wahrer Globetrotter und auf dem Weg in einen neuen Kontinent: Südamerika.

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Wasserfall in Neuseelands bekanntestem Fjord: Milford Sounds

Es ist der letzte Stopp auf meiner Weltreise und schon vor der Ankunft in Chile stand ich vor der Qual der Wahl: Welche Richtung soll ich von Santiago aus einschlagen? Nach Norden durch die Wüsten Chiles und eventuell bis nach Peru und Bolivien? Oder nach Osten durch Argentiniens Hinterland und in die klangvolle Millionen-Metropole Buenos Aires? Von dort weiter nach Brasilien? Paraguay? Gar Kolumbien? Das Problem: Südamerika ist ein riesiger Kontinent und ich habe so viel... äh, nein, natürlich so wenig Zeit. Nach mehreren Stunden mit dem Reiseführer habe ich mich nunmehr für den Weg nach Süden entschieden. Angefangen mit der von Landwirtschaft geprägten Mitte Chiles will ich mich durch das Wanderparadies des Lake District bis hinunter ins einsame Patagonien durchschlagen. Spielt das Wetter mit, wartet dort mit dem Torres del Paine einer der spektakulärsten Nationalparks Südamerikas, ehe es danach bis an die südlichste Spitze des Kontinents nach Feuerland geht. Von dort werde ich mich gezwungenermaßen (Preise für eine Bootstour in die Antarktis sprengen leider mein Backpacker-Budget) nach Norden aufmachen - durch Argentinien und irgendwann schließlich nach Buenos Aires, von wo aus am 1. Juni mein Flieger in Richtung Heimat startet. So weit der Plan.

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Ein 4.300 km langes Land der Extreme: Chile

Macht es überhaupt Sinn, an dieser Stelle noch weiter zu schreiben? Denn wer von euch hat es denn tatsächlich bis hierhin durchgehalten? Wohl nur die ganz Lesewütigen: Wahrscheinlich Mama und vielleicht noch Manu - wenn im Büro gerade keiner schaut? Doch auch wenn diese Zeilen ungelesen bleiben, ist das eigentlich egal. Denn ich habe ja Zeit. Viel Zeit. Die alternde, blau gekleidete Dame hat meinen Flug immer noch nicht aufgerufen. Dafür blickt sie seit geraumer Zeit böse in meine Richtung. Ihr hat es wohl nicht gefallen, dass ich sie minutenlang angestarrt habe. Wahrscheinlich hält sie mich für einen Verrückten. Einen Perversen. Oder beides. Dabei hatte ich doch einfach nur Zeit. Viel Zeit.
Die fleißigen Leser will ich hier noch kurz mit einigen Fakten zu "Die Welt ist ein Dorf" belohnen. So habe ich auf meiner Reise bisher etliche Münchner getroffen, wobei eine Dame in Vietnam gar bei der Konkurrenz von FHM gearbeitet hat, so dass wir schnell auf gemeinsame Bekannte kamen. In Neuseeland habe ich - Achtung Papa! - Olivia, ein Mädchen aus dem schönen Abingdon getroffen, jenem Ort in England, den die Familie Stäbler von 1984 bis 1986 Heimat nannte. Und zu guter letzt habe ich auf meinen Reisen auch eine Wayne State-Studentin (meine Uni in USA), ein Ehepaar aus Detroit und Simon aus Horsforth in Leeds, der Heimat meines guten Freundes Dave aus England, getroffen. Und mit Steffen und Anja in Bangkok fange ich besser gar nicht erst an, denn mittlerweile hat sich die Dame in Blau hinter das Mikrofon gewagt - nach einem letzten tödlichen Blick in meine Richtung. Nun geht es also los: Südamerika, ich komme! Heute vor sechs Stunden werde ich in Santiago landen.

Trotz der Zeit - viel Zeit - habe ich kaum von meiner letzten Woche in Neuseeland berichtet. Aus diesem Grund stelle ich wieder einmal ein paar Fotos online. Sie sprechen ohnehin für sich.

4 Comments:

At 9:46 AM, Anonymous Anonym said...

Hey Pat, boa eh musst du Zeit haben!!!

Was heisst hier, ob es sich noch lohnt weiter zu schreiben. Habe jede deiner Zeilen aufgesaugt und aufgefressen. Kann es eh immer schon kaum erwarten was neues zu lesen und vor allem zu sehen.
Es ist halt immerwieder ein Genuss was neues zu sehen. Jetzt aber Schluss mit der Schleimerei! Ich bin heiss auf Südamerikanische Geschichten, welche von gutem Wein (Cabernet Savignon) gutem Essen (Enchiladas)und natürlich heissen Frauen (eh.... Shakira) handeln. Also nichts wie "Zurück in die Zukunft" um für neuen Lesestoff zu Sorgen.

Hasta pronto amigo

El Stefan

 
At 11:21 AM, Anonymous Anonym said...

schliess mich da dem stefan an...
geschichten sind da um gelesen zu werden.
ausserdem will ich ja auch wissen wie die gauchos mit deinem spanisch zu recht kommen.

mach mich und carlos stolz...

donde es los hombres bastante feos y las chicas muy guapas?

oder so ähnlich ;)

 
At 12:51 AM, Blogger Patrik said...

Hola Stefan, Hola Dozy!
"Ohne Grundkenntnisse in Spanisch hat man es in Suedamerika schwer" - warum habe ich den Reisefuehrer nicht ernst genommen?!? Der gute Carlos wuerde vor Scham in den Boden sinken, wenn er mich heute am Busterminal gehoert haette, wie ich mit Haenden, Fuessen und ein paar Brocken Spanisch versucht habe, ein Ticket kaufen. Warum nur ist das Einzige, was ich aus dem Spanischkurs mitgenommen habe, Saetze wie "Ti hermana es muy feo!"?
Naja, nun geht es also morgen frueh nach Olmue, von wo aus ich hoffentlich einen weiteren Bus in den La Campana Nationalpark erwische. Dort steht dann eine 7-Stunden-Wanderung auf den Cerro Campana an (von 300 auf 1800 Meter hoch), doch die eigentliche Schwierigkeit duerfte erst nach dem Abstieg anstehen: Wieder heil zurueck nach Santiago kommen. Denn wenn ich das mit den Bussen nicht hinbekomme, dann werde ich wohl zum ersten Mal in meiner Backpackerzeit auf einer Ban in einem Park naechtigen. Das heisst es zu verhindern, denn nach meinem ersten Eindruck von Chile gibt es hier durchaus nach Tequila stinkende Gringos, die einen blonden, unschuldigen Germano nicht von der Parkbank schubsen wuerden...
In diesem Sinne: Adios,
Patrik

 
At 10:04 AM, Anonymous Anonym said...

Hola amigo,

qué tal en el chile!!

Wichtige Sätze vergisst man halt nicht, auch das hast du jetzt gemerkt und somit eine gute Basis für deinen Südamerika Aufenthalt geschaffen. Die Bank sollte nach langer Reise und gutem Wetter auf diesem Kontinent eigentlich kein größeres Problem darstellen. Schon eher die Situation mit den Tequillatrinkenden Gringos.....
Nachdem jetzt jedoch Geld, Glück, Ruhm und schwedische Unterwäschemodels deinen Weg zieren sollte auch dieses Abenteuer eher eine kleine Hürde auf deinen Weg werden.
Für diesen wünsche ich dir viel Glück und vor allem einen guten Schlaf!!!
Hasta pronto y buenas noches


Stan

 

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